Übergabe des Geldes im April und Treffen der Familien im Mai 2014

Bei diesen Treffen wurden die Kinder und deren Begleiter hauptsächlich über die Wahl und die Bedeutung von Wahlen unterrichtet.

Da Demokratie und Wahlen für Afghanistan etwas Neues sind, interessierten sich Kinder und Begleiter sehr für das Thema.

Wie die Medien berichteten, wurden in Afghanistan zum dritten Mal innerhalb von 12 Jahren Wahlen durchgeführt. Da bei der letzten Wahl keiner der zahlreichen Kandidaten die erforderliche Mehrheit für eine Präsidentschaft erreicht hatte, gebot das Gesetz, zwischen den beiden Kandidaten, welche die meisten Stimmen für sich gewinnen konnten (Dr. Abdullah Abdullah und Dr. Aschraf Ghani), einen zweiten Wahlgang durchzuführen.

Auch über die politische Laufbahn der beiden Kandidaten wurde gesprochen. Auf die Frage, welcher der beiden Kandidaten für unser Land besser sei, wurde ausführlich eingegangen und diskutiert. Es wurde erarbeitet, dass derjenige, der das zerstrittene Volk zu nationaler Einheit und sozialer Gerechtigkeit führen kann, der richtige Präsident für das Land sein wird. Derjenige Präsident, welcher die nationale Einheit und soziale Gerechtigkeit für das Land schafft, wird auch in der Lage sein, Afghanistan in die Unabhängigkeit zu führen und die Wirtschaft anzukurbeln.

Die Kinder und ihre Begleiter fragten, was denn eigentlich "nationale Einheit" und "soziale Gerechtigkeit" seien. Anhand ihrer eigenen Praxis innerhalb unseres Projektes war diese Frage leicht zu klären. Ihnen wurde bewusst gemacht, dass sie selbst eine Gruppe von Mädchen, Jungen, Frauen und Männern verschiedenster Stämme und Religionen, Tadschiken, Hazaras, Paschtunen, Usbeken, Hindus und Moslems sind, die sich nach und nach zu einer friedlichen, sich schätzenden Einheit entwickelt haben, in welcher Vorbehalte und Vorurteile überwunden worden sind.

"Ihr seid also selber ein kleines Beispiel für eine nationale Einheit. Auch die soziale Gerechtigkeit wird hier praktiziert, indem ihr alle gleich behandelt werdet, alle das gleiche Essen esst und alle das gleiche Geld zur Verfügung gestellt bekommt. Aber diejenigen von euch, die durch eigenen Fleiß und Bemühungen in der Schule ihre Jahresprüfung als Primus bestehen, wie euer Freund Scher Ahmad Nangialai, bekommen eine Auszeichnung verbunden mit einem Preisgeld. Das könnte jeder von euch erreichen. Solche Schüler können später einmal als Präsident des Landes kandidieren und auch mit Recht gewählt werden, denn sie haben  schon als Kind gelernt, was für das Volk und zum Wiederaufbau des Landes wichtig ist, nämlich die nationale Einheit und soziale Gerechtigkeit."

Nach ausführlicher Aufklärung wurden die beiden Begriffe folgendermaßen zusammengefasst:

Nationale Einheit bedeutet Einheit des zerstrittenen Volkes, nämlich das friedliche Zusammenschließen von Hindus, Moslems, Paschtunen, Tadschiken, Hazaras, Usbeken u.s.w.
Soziale Gerechtigkeit bedeutet: Gleichberechtigung von allen Stämmen und Männern und Frauen, Essen für alle, ein Dach über dem Kopf für alle und Arbeit für alle.
Die Anwesenden verfolgten das Gespräch mit großem Interesse, und die Kinder machten sich Notizen.

Nun ging die politische Stunde langsam über in eine Feststunde. Frau Soraya, eine pensionierte Lehrerin und ehrenamtliche Helferin unseres Straßenkinder-Projektes in Kabul, übergab feierlich die Auszeichnung und den Preis von 20 USD an Scher Ahmad Nangialai, der an dem renommierten Habibia-Gymnasium seine Jahresprüfung der 8. Klasse als Primus bestanden hatte. Es wurde geklatscht, musiziert und gefeiert. Die Preisverleihung wurde zu einer große Motivation für die Kinder. Ausrufe wie "Das möchte ich auch", "Das will ich auch schaffen" hörte man von vielen Kindern.

Im Anschluss daran übergab Frau Soraya den Kindern ihre monatliche Unterstützung von 40 USD für den Monat April. Dann wurde feierlich gegessen und so endete dieser lehrreiche und stimmungsvolle Tag.

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