Von Hannes Külz
Der Stadtteil Kote Sanghi liegt im Südosten Kabuls. Das Viertel war von den Kämpfen der Mujahedin-Führer Anfang der 1990er Jahre mit am stärksten betroffen. Kaum ein Stein blieb auf dem anderen. Wo hauptsächlich Angehörige der Hazara lebten, hinterließen die Raketen, Bomben und Mörser ein Ruinenfeld. Inzwischen wurde viel Schutt beseitigt, stehen die ersten Neubauten. Überall wird gehämmert, gesägt, geschweißt. Wenn auch langsam, so geht der Wiederaufbau voran.
Doch nicht nur die Ruinen, sondern insbesondere auch das Sozialgefüge Afghanistans muss wieder aufgebaut werden. 25 Jahre Krieg und Zerstörung haben Tausende von Witwen und Waisenkinder hinterlassen, die in der Gesellschaft einen schweren Stand haben. Ein funktionierendes Sozialsystem gibt es nicht. Deshalb sind die Betroffenen auf anderweitige Hilfe angewiesen. Etwa auf die Hilfe des Hamburger Komitee KUFA e.V. (Komitee zur Unterstützung der Flüchtlinge in Afghanistan und zum Wiederaufbau des zerstörten Landes e.V.).
Wer vom Stadtzentrum Kabuls über den Hügel mit dem markanten Hotel Intercontinental hinunter in Richtung Afschar fährt, findet rechterhand, hinter dem Universitäts-Campus, das Gelände des Roten Halbmonds. Hier unterhält Kufa ein Witwen- und Waisenheim. Es übernimmt auch die Funktion eines Frauenhauses, in dem Frauen im Bedarfsfall Schutz vor ihren Ehemännern finden können. 15 Frauen und 45 Kinder erhalten hier nicht nur Schutz, Verpflegung und Obdach, sondern auch eine Ausbildung. Nach Aussage der Heimleiterin, Frau Nadera, werden die Kinder im Alter von 1 Monat bis 12 Jahren in zwei Schichten morgens und nachmittags in einer nahen Schule unterrichtet - ein wichtiger Beitrag zur Entwicklung des Landes. Zumal unter der Herrschaft der Taliban Mädchen der Schulbesuch generell untersagt war und die meisten ausgebildeten Lehrer geflohen, viele Schulen zerstört waren.
Dass Mädchen und Jungen gemeinsam aufwachsen, ist für afghanische Verhältnisse eher die Ausnahme als die Regel und erscheint angesichts des Bestrebens nach Gleichberechtigung der Geschlechter ein guter Ansatz. Im Garten des Gebäudes findet sich ein Spielplatz mit diversen Spielgeräten, der den Kindern jederzeit offen steht. Auch dies keine Selbstverständlichkeit in einem Land, in dem verkehrsreiche Straßen häufig der einzig mögliche Aufenthaltsort für Kinder ist. Vor diesem Hintergrund ist ebenfalls von Vorteil, dass das Heim auf dem großen Gelände des roten Halbmonds weit abgelegen von vielbefahrenen Straßen ist und sich die Kinder gefahrlos bewegen können.
Die Frauen erhalten eine Ausbildung als Näherinnen. Dies soll ihnen mittelfristig die Möglichkeit geben, sich ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen. Die Kleidung, die sie im Heim herstellen, wird auf lokalen Märkten verkauft. Einige Frauen können sich auf diese Weise ihren Lebensunterhalt bereits selbst verdienen, berichtet Frau Nadera. Außergewöhnlich ist das Wohnkonzept des Heimes: In 15 Zweizimmerwohnungen lebt je eine Frau mit vier Kindern. In der Regel sind dies sowohl ihre eigenen als auch Waisenkinder. Damit wird versucht, den elternlosen Kindern die Geborgenheit und die Fürsorge einer "Ersatz-Familie" zu geben.
Unterstützt von der RTL-Stiftung hat Kufa im April 2005 einen PKW angeschafft. Er wird für Einkäufe verwendet oder um im Bedarfsfall Frauen oder Kinder zum Arzt bringen zu können. Mit öffentlichen Verkehrsmitteln ist dies in Kabul, insbesondere vom Gelände des Roten Halbmondes aus, schwer zu bewerkstelligen. Ein eigenes Fahrzeug erleichtert die Arbeit der Heimleitung daher besonders. Das Foto zeigt den Wagen mit Kindern im Garten des Gebäudes.
Hannes Külz, ehemaliger Redakteur der Financial Times Deutschland, arbeitet als Journalist in Hamburg. In Afghanistan gibt er Journalistenkurse im Rahmen des Programms der "Initiative freie Presse Afghanistan" e.V.